Auf dem diesjährigen UN-Klimagipfel müssen wichtige Fragen zur Finanzierung und zur zweiten Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls entschieden werden. Eine Einigung wird aus Sicht der Klimaforschung aber allein schon nicht mehr ausreichen.
Die Appelle an die politischen Entscheidungsträger sind eindringlich. In aller Deutlichkeit hat die Weltbank in Washington Mitte November vor den drastischen Folgen der Erderwärmung gewarnt. Der neue Klimabericht aus Washington „4° Turn Down the Heat“ warnt vor bisher nicht erlebten Hitzewellen und Missernten. Bereits jetzt befinde sich die Erde auf einem Kurs, der bis zum Ende dieses Jahrhunderts zu einer globalen Erwärmung von 4° führen wird, heißt es in dem Bericht. Ein solcher Anstieg muss vermieden werden, mahnt die Weltbank. Die Regierungen der Erde ruft sie dazu auf, bei der Subvention von Kohle und anderen fossilen Brennstoffen umzudenken und die Finanzmittel auf alternative Energien umlenken. Nur so lasse sich die Erderwärmung auf unter 2° gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzen, schreiben die Weltbank-Autoren in ihrem Klimabericht. Der Appell ist dringend notwendig, denn der wachsende Energiehunger in den aufstrebenden Schwellenländern wird die Zahl der weltweiten Kohlekraftwerke noch einmal deutlich ansteigen lassen. Einer Analyse des Washingtoner World Ressource Institutes (WRI) zufolge sind weltweit fast 1 200 neue Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 1,4 Terrawatt geplant, die meisten davon in China und Indien. Beide Staaten zusammen wollen mehr als drei Viertel der weltweit neugeplanten Kohlekraftwerke bauen.
2°-Ziel schwer zu erreichen
Vor drei Jahren auf dem 15. UN-Klimagipfel in Kopenhagen hatten sich die Staats- und Regierungschefs noch auf eine Begrenzung der Erderwärmung auf 2° geeinigt. Ziel war es, den Klimawandel in einem gerade noch beherrschbaren Rahmen zu halten. Einem UN-Bericht zufolge entfernen sich die Staaten der Erde aber immer weiter von diesem politisch vereinbarten Klimaziel. Ohne massive Einschnitte werde der Ausstoß der Treibhausgase bis 2020 auf voraussichtlich 58 Mrd. t CO2-Äquivalent ansteigen, erklärt Achim Steiner, der Exekuivdirektor des UN-Umweltprogramms UNEP. Um die Erderwärmung auf 2° zu begrenzen, darf nach Einschätzung von Wissenschaftlern der jährliche CO2-Ausstoß maximal 44 Mrd. t betragen. Es fehlen politische Impulse, um den Anstieg der weltweiten Treibhausgasemissionen zu bremsen.
Diese sind aber dringend nötig, denn selbst das 2°-Ziel reicht inzwischen nicht mehr aus, um mit den Folgen des Klimawandels umgehen zu können. Ungebremst schreitet die globale Erwärmung fort: Nach Aussage des Klimaforschers Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung war die Dekade von 2001 bis 2010 die wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Rückblickend auf die europäischen Sommertemperaturen der letzten 500 Jahre wurden die fünf wärmsten Sommer zwischen 2002 und 2010 gemessen. „Auch global betrachtet, nehmen die Wärmerekorde zu“, sagt Rahmstorf und beruft sich auf 150 000 Datensätze aus den Wetteraufzeichnungen seit dem Jahr 1880. Sollte dieser Trend nicht aufgehalten werden können, befürchtet der Klimaforscher bis zum Jahr 2100 einen Anstieg der arktischen Temperaturen um 12 °C. Dies hätte deutliche Auswirkungen auch auf den Meeresspiegel, der ohnehin immer rascher ansteigt. Anfang des 20. Jahrhunderts stieg der Meeresspiegel noch um rund einen Zentimeter pro Jahrzehnt, in den letzten zwanzig Jahren waren es schon mehr als drei Zentimeter pro Jahrzehnt. Bis 2100 könnte der Meeresspiegel dann noch einmal um einen Meter zulegen, sagt Rahmstorf und verweist auf die dramatischen Folgen für Inselstaaten und dichtbesiedelte Küstenregionen.
Streitpunkt „Hot Air“
Am 26. November hat im arabischen Emirat Katar der 18. UN-Klimagipfel begonnen. Vertreter aus mehr als 190 Staaten ringen bis zum 7. Dezember im Qatar National Convention Center um Fortschritte bei den internationalen Klimaverhandlungen und stehen dabei vor großen Herausforderungen. So müssen sie eine zweite Verpflichtungsperiode auf das Kyoto-Protokoll vereinbaren, unklar ist bislang noch, ob diese Verpflichtungsperiode bis 2017 oder 2020 gelten soll. Nachdem Kanada aus dem Kioto-Vertrag ausgestiegen ist und auch Japan und Russland wohl nicht mehr mitmachen wollen, erfasst diese zweite Kyoto-Phase nur noch etwa 15 % der weltweiten Treibhausgasemissionen. Ab 2020 soll Kyoto II dann von einem neuen Klimavertrag abgelöst werden, der alle UN-Staaten zu verbindlichen CO2-Minderungen verpflichtet. Während der ersten Kyoto-Phase von 2008 bis 2012 hatten sich die Industriestaaten zur Reduktion ihres Treibhausgasausstoßes verpflichtet. Dafür erhielten sie ein entsprechendes Kontingent an staatlichen Emissionseinheiten, den so genannten Assigned Amount Units (AAU). Osteuropäische Staaten, insbesondere Russland, haben wegen ihres Wirtschaftseinbruchs diese AAU nicht ausschöpfen können. Sie plädieren nun für den Erhalt dieser überschüssigen Emissionsrechte und wollen diese als CO2-Gutschriften auch künftig an andere Kioto-Staaten verkaufen. Der Umgang mit diesen als „Hot Air“ bezeichneten Zertifikaten ist mehr als strittig. „Es darf keine Aufweichung der Klimaziele durch ,Hot Air‘ geben“, mahnt Jan Kowalzig von der Hilfs- und Entwicklungshilfeorganisation Oxfam. Ohnehin sind die bisher von den Staaten abgegebenen Klimaschutzzusagen nicht ausreichend, um das in Kopenhagen beschlossene 2°-Ziel erreichen zu können. Noch immer haben etwa 100 Staaten, vornehmlich Entwicklungsländer, keine Zusagen gemacht. „Das Hauptproblem bleiben aber die schwachen Zusagen der Industrieländer“, sagt Kowalzig und fordert deshalb eine Überprüfung der angekündigten Maßnahmen und Zielversprechen bis spätestens 2015. Ziel müsse eine Anhebung der bisherigen Zusagen sein, mahnt der Oxfam-Experte.
Knackpunkt Klimafinanzierung
Das dürfte die Verhandlungen ebenso schwierig gestalten, wie die Finanzzusagen für den Green Climate Fund. Der Fonds war auf dem Klimagipfel im mexikanischen Cancún vor zwei Jahren beschlossen und letztes Jahr in Durban (Südafrika) auf den Weg gebracht worden. Ab 2020 soll er den vom Klimawandel besonders betroffenen Staaten jährlich 100 Mrd. US-Dollar zur Verfügung stellen. Bislang fehlen dafür aber noch konkrete zusagen sowie Klarheit darüber, wie Klimaschutzmaßnahmen bis 2020 finanziert werden. „Vor drei Jahren haben die Industriestaaten die 100 Milliarden US-Dollar jährlich bis 2020 zugesagt, aber bis dahin klafft eine riesige Lücke. Es wird schwer das Vertrauen der Entwicklungsländer zu gewinnen, wenn wir bis heute noch nicht einmal wissen, wie viel Mittel im nächsten Jahr bereitstehen“, kritisiert Barbara Lueg, WWF-Referentin für Klimafinanzierung. Sie plädiert dafür, auf der Klimakonferenz einen Beschluss zu fassen, mit dem die Internationale Schifffahrt-Organisation IMO und die Internationale zivile Luftfahrt-Organisation ICAO einen Mechanismus zur CO2-Reduktion in diesen Branchen zu entwickeln. Entsprechende Instrumente waren bereits im Klimavertrag von Kioto 1994 vorgesehen, wurden bisher aber noch nicht umgesetzt. Ein solcher Mechanismus könnte zugleich auch Mittel für die Klimafinanzierung generieren, so Lueg. Die internationale Seeschifffahrt und der Flugverkehr sind nach Angaben der WWF-Expertin für 10 % der weltweiten Emissionen verantwortlich, unterliegen gegenwärtig aber noch keinen rechtlich bindenden Regulierungen.
Zunehmend wird deutlich, dass Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel zentrale Fragen sind, aber allein nicht mehr ausreichen. „Nicht alle Schäden können mehr vermieden werden“, prophezeit Sven Harmeling, Teamleiter Internationale Klimapolitik bei Germanwatch. Für ihn wird eine zusätzliche Auseinandersetzung mit den klimawandelbedingten Schäden („loss and damage“) immer zwingender. „Die Zeit wird knapp, um einen in großem Maßstab gefährlichen Klimawandel noch abzuwenden. Dem muss die Weltgemeinschaft ein entschlossenes Signal entgegensetzen. Das Kyoto-Protokoll darf nicht begraben werden. Der Start der zweiten Verpflichtungsperiode ab Januar 2013 muss ein Aufbruch-Signal sein“, sagt Harmeling. Seiner Meinung nach kann die Bundesregierung durch entschlossenes Handeln in Doha den Klimaverhandlungen Rückenwind verschaffen.
Mit dieser Einschätzung steht der Germanwatch-Experte nicht alleine da. Gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für globale Umweltfragen (WBGU) und dem Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) fordert das Umweltbundesamt eine Anhebung des EU-weiten Klimaziels von 20 auf 30 % CO2-Reduktion bis 2020. Technisch und wirtschaftlich sei dies leicht zu realisieren, weil die bis 2020 angestrebten 20 % schon jetzt so gut wie erreicht seien. Eine Anhebung des CO2-Minderungsziels sei deshalb mehr als überfällig, Deutschland müsse sich für die 30 % stark machen, damit Europa beim Klimaschutz Vorreiter bleibt, forderten die Regierungsberater in einer gemeinsamen Erklärung.
Wer übernimmt Vorreiterrolle?
Indes bleibt die Bundesregierung in Sachen Klimapolitik zerstritten. Bundesumweltminister Peter Altmaier sieht das 2°-Ziel in Gefahr und spricht sich für eine Anhebung der EU-Klimaziele und eine Verschärfung des EU-Emissionshandels aus. Dagegen lehnt Wirtschaftsminister Philipp Rösler eine künstliche Verknappung der Emissionszertfikate und eine Verschärfung der Treibhausgasreduktion ab. „Wir werden uns zu 20 Prozent verpflichten“, bestätigt denn auch EU-Chefunterhändler Artur Runge-Metzger vor Beginn des UN-Gipfeltreffens. „Aber wir lassen die Tür für 30 Prozent offen, auch wenn das in diesem Jahr nicht passieren wird“, so Runge Metzger. Die EU bleibt damit ihrer Strategie treu, sich erst dann auf höhere Reduktionsziele festzulegen, wenn ihren Beispiel auch andere Industriestaaten folgen werden. Es gilt als unwahrscheinlich, dass dies bis zum 7. Dezember in Doha passieren wird. Der Meeresspiegel wird hingegen unaufhaltsam weiter ansteigen.
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