Überkapazitäten und sinkende Charterraten lassen weltweit Reedereien straucheln. Mitten in der Krise wagen zwei junge Hamburger Unternehmer den Aufbruch.
Die Stimmung in der maritimen Wirtschaft hat sich im Frühjahr 2013 nicht verbessert. Das Konjunkturbarometer der norddeutschen Industrie- und Handelskammern verzeichnet bei Hafenwirtschaft und insbesondere im Schiffbau ein weiteres Minus. Lediglich die Reedereien blicken nach den vergangenen Krisenjahren wieder etwas optimistischer in die Zukunft. Hier stieg der Geschäftsklimaindex innerhalb eines Jahres von 97,3 auf nun 101,5 Punkte, teilte die IHK Nord Ende Mai mit. Dennoch kämpfen die Schifffahrtsunternehmen weiterhin mit weltweiten Überkapazitäten und Charterraten auf niedrigstem Niveau. Große Unsicherheiten bei der Schiffsfinanzierung setzen der Branche außerdem zu. „Aufgrund einer geringeren Anzahl an Neubauablieferungen in 2014 könnte eine Erholung der Charterraten im nächsten Jahr möglich sein“, hofft Fritz Horst Melsheimer, Vorsitzender der IHK Nord und Präses der Handelskammer Hamburg.
Schifffahrt ist ein zyklisches Geschäft
Das Gerede von der Schifffahrtskrise ist in der Branche nicht neu. Schon nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers lagen weltweit hunderte Schiffe ungenutzt vor Anker. Viel zu viele Frachter waren zuvor in den Boomjahren gebaut worden. Nun gab es in der Wirtschafts- und Finanzkrise nicht mehr genügend Aufträge für all die Schiffe. Wenig Platz für Optimisten.
„Schifffahrt ist ein enorm zyklisches Geschäft. Wie sich heute zeigt, kann man in der Branche Geld verlieren. Ein Rückblick auf die letzten Jahrzehnte belegt aber auch, dass sich mit Schifffahrt sehr viel Geld verdienen lässt“, sagt Alexander Tebbe. Gemeinsam mit seinem Freund Lucius Bunk hat der 31-Jährige vor drei Jahren in Hamburg das Unternehmen Auerbach Schifffahrt GmbH & Co., KG gegründet. Der Name soll im internationalen Markt auf ein deutsches Unternehmen hinweisen. Zugleich aber das Wertegerüst der beiden Gründer nach außen tragen. „Bei der Namensgebung haben wir uns zurückerinnert an unsere Abiturzeit, an einen der maßgeblichen Wertegeber unserer Gesellschaft: Johann Wolfgang von Goethe.“ In Auerbachs Keller in Leipzig hatte dieser Teile seines „Faust“ geschrieben. „Der Name entstand aus einer Bierlaune heraus. Und je mehr wir drüber nachdachten, umso schöner fanden wir es“, erzählt Tebbe.
Schulterklopfer für die Newcomer
Er kommt ursprünglich aus Haren an der Ems. „Haren ist nach Hamburg und Leer der drittgrößte deutsche Schifffahrtsstandort“, erzählt er und zeigt auf das große Steuerrad, das im Besprechungsraum des Büros an der Wand hängt. „Das ist vom Schiff meines Großvaters“, sagt Tebbe. Sein Opa ist als Kapitän zur See gefahren. Das ist das Umfeld in dem Alexander Tebbe aufgewachsen ist. „Schifffahrt war für mich ein vorgezeichneter Weg. Außerdem hatte ich immer auch den Wunsch, mich frei entfalten zu können“, beschreibt Tebbe seinen Antrieb. Ein Gefühl, das auch Lucius Bunk so empfindet. Kennengelernt haben sich die beiden 2005 auf dem Eisbeinessen der Vereinigung Hamburger Schiffsmakler und Schiffsagenten. Später haben sie dann zusammen bei der Traditionsreederei Ernst Russ an der Alster gearbeitet. Sie erleben die letzte Boomphase noch selbst mit und diskutieren viel über die Entwicklungen in der Branche. Dabei stellen sie fest, dass sie zwar zwei sehr unterschiedliche Typen sind, aber mit denselben Einstellungen. „Wir haben ein absolut gleiches Wertesystem und eine identische Zielsetzung bei dem, was wir aus unserem beruflichen Leben schöpfen möchten“, erläutert Bunk. Im direkten Vergleich zu Tebbe wirkt er etwas zurückhaltender und ernster. Sein Kompagnon hat dagegen meist ein charmantes Lächeln auf den Lippen, wodurch er auch ein bisschen unbeschwerter wirkt. Die beiden jungen Männer leben im Hier und Jetzt, gehören zur Generation Facebook. Auf der sozialen Plattform präsentieren sie wie selbstverständlich ihr junges Unternehmen, posten Fotos und die Positionen ihrer Schiffe. Sie selbst tragen Jeans und Turnschuhe, sind aber alles andere als lax. Ihre Gedanken und Pläne sind langfristiger angelegt, als man es auf den ersten Blick vermuten würde. Tebbe und Bunk sind sehr bodenständig. Eine Charaktereigenschaft, die beide in ihrem auf Traditionen bedachten, wertkonservativem Hamburger Umfeld auch brauchen.
Der 34-Jährige Bunk hat Volkswirtschaft und Sinologie studiert. Für die Reederei Russ war er ab 2007 in China, vermittelte dort Neubauverträge, die er mit Ausbruch der Finanzkrise zum Teil wieder rückgängig machen musste. „Eine sehr lehrreiche Zeit. Die Überhitzung des Marktes war greifbar. Es waren Erlebnisse, die mir gezeigt haben, wie wichtig es ist, als Unternehmer mit Geduld und Vorsicht zu agieren“, so der Familienvater. Es war die Zeit, in der sie ihre Pläne konkretisierten. Schon fast ein halbes Jahr hatten sie in Gedanken durchgespielt, wann der richtige Zeitpunkt sei. „Viele unserer Weggefährten haben in der Boomphase bedauert, dass sie kein Emissionshaus gegründet, kein eigenes Schiff gekauft oder sich selbständig gemacht haben“, meint Tebbe. Sie wollten sich in zehn Jahren nicht sagen müssen: „Mensch, hätten wir es mal gemacht…“, erläutert der Schifffahrtskaufmann. „Markt-Timing ist eine wichtige Grundvoraussetzung“, ergänzt Bunk. Wenn es ein solches Timing für die Schifffahrt gibt, und davon sind die zwei jungen Unternehmer überzeugt, dann ist es heute. Sie wollen die Krise nutzen, um tonnageseitig die Bodenplatte für den Aufbau eines Schifffahrtsunternehmens zu gießen, wie sie sagen. „Mit einem günstigen Einstiegsszenario lässt sich über die gesamte Flotte hinweg ein Break-even erreichen, der im Zweifel günstiger ist, als der eines Mitbewerbers“, erklärt Tebbe. Sein Kollege Bunk verabschiedet sich. Am Abend geht sein Flieger nach Shanghai, ein wichtiger Werfttermin steht bevor.
Fünf Jahre – Zehn Schiffe
Kurz nach der Gründung ihres Unternehmens haben die beiden bei Ikea eine große Weltkarte und dazu zehn rote Magnet-Buttons gekauft. Ihr Ziel ist es, innerhalb von fünf Jahren alle Magnete an die Wand pinnen zu können und somit die Positionen ihrer Schiffe zu markieren. Den ersten Button konnten sie 178 Tage nach der Firmengründung anstecken. Er macht das Thema Schifffahrt greifbar. Viele glückliche Umstände seien dabei zusammengekommen, erzählt Tebbe. Aus einer Insolvenz heraus konnten sie mit der „Maple Ingrid“ für umgerechnet zehn Millionen Euro ihr erstes Schiff kaufen. Ursprünglich hatten sie sich dafür zwei Jahre Zeit gegeben.
Solange hätte ihr Eigenkapitel gereicht, für den Kauf eines Schiffs reichte es aber nicht. „Wir haben mit Banken gesprochen und wurden von vielen schiffsfinanzierenden Banken eingeladen. Sie waren alle freundlich zu uns, haben uns aber alle mit einem Schulterklopfer wieder nach Hause geschickt“, sagt Tebbe. Übereinstimmende Begründung: Man würde das elfte Schiff finanzieren, aber nicht das erste. Für die beiden jungen Schifffahrts-Kaufleute ist Schifffahrt kein Wechselgeschäft, kein Renditeversprechen. Bunk und Tebbe wollen mit Schiffen Geld verdienen, nicht an den Schiffen. Eine niedersächsische Regionalbank können sie schließlich doch überzeugen. Nach einen zweistündigen Gespräch sagt der Banker: „Ich kann nicht viele Haken bei euch machen. Ihr erfüllt keine unserer Kriterien. Basel II nicht, Basel III nicht. Aber das objektive Zahlenwerk ist nur die eine Hälfte. Die subjektive Komponente, euer Auftreten und eure Vision die ihr uns vermittelt, ist für uns genauso wichtig.“ Vor allem den letzten Satz kennt man in den großen Konzernbanken heute nicht mehr. Aber er verhilft den beiden Newcomern zu einem Darlehen über sechs Millionen Euro. Ihnen bleiben nur vier Wochen Zeit die restlichen vier Millionen Euro als Eigenkapital aufzutreiben. Mit dem Kredit in der Tasche und ihrem fertiggestrickten Projekt schaffen sie es, Hamburger Unternehmer von ihrer Idee zu überzeugen. Sie gaben Geld und stiegen als Mitgesellschafter bei Auerbach ein.
Schiffsfinanzierungen sind kompliziert geworden
Schiffsfinanzierungen sind in den letzten Jahren sehr kompliziert geworden. Es gibt viele verschiedene Modelle und komplexe Finanzierungskonstrukte. „Ein Schiff zu finanzieren, ist für uns Mittel zum Zweck, aber kein Selbstzweck“, erklärt Tebbe und vermeidet im Gespräch Begriffe wie Investor oder Shareholder. Einem schwäbischen Kleinanleger ohne Schifffahrtsbezug, ein Renditeversprechen machen zu müssen, das wäre nicht sein Ding.
Inzwischen hängen an der großen Wandkarte schon drei rote Magnete. Im vergangenen Jahr haben Tebbe und Bunk aus der Insolvenzmasse der Bremer Schwergutreederei Beluga Shipping zwei weitere Schiffe ersteigern können. Wie die „Maple Ingrid“ sind die beiden jüngst erworbenen Schiffe Mehrzweck-Frachter. Die „Maple Lea“ hat gerade Windmühlenflügel für einen polnischen Offshore Windpark ins Baltikum transportiert, an Bord des Schwesterschiffs „Maple Lotta“ wurden Anfang Januar Yachten aus den USA ins Mittelmeer gebracht. „Unsere Schiffe sind ganz klassische Arbeitstiere, quasi der VW Golf der Weltmeere“, erklärt Tebbe. Sie transportieren alles, was nicht in Container passt. Transformatoren, Generatoren, Stahlprodukte. Für das World Food Program haben sie aber auch schon einmal 225 000 Sack Reis von Montevideo nach Dakar gebracht. Finanziert wurden beide neuen Frachter über einen weiteren Bankkredit und eine Kapitalerhöhung. „Etwa die Hälfte unserer Gesellschafter haben ihr Bezugsrecht genutzt und weitere Anteile gezeichnet“, erklärt Tebbe. Hinzu kamen drei neue Gesellschafter, weil einige Miteigentümer schon sehr hoch beteiligt waren und ihre Anteile nicht unmittelbar weiter aufstocken wollten. Die Elf Gesellschafter sind inzwischen mit einem zweistelligen Millionenbetrag investiert. Im Schnitt hat jeder Einzelne eine siebenstellige Summe gezeichnet. „Das sind Schifffahrtsunternehmer, Kaufleute und andere Unternehmer, also alles Menschen, die die Branche verstehen und unseren Weg mitgehen wollen“, betont Tebbe.
Alle drei Schiffe sind verchartert und die Transportkapazitäten werden für drei Jahre am Frachtmarkt angeboten. Wie es danach weiterläuft, da wird Tebbe vorsichtig. „Wir haben immer klar gesagt, unser erstes Etappenziel heißt: Fünf Jahre, zehn Schiffe. Aus dieser Flotte heraus wollen wir ein Schifffahrtsunternehmen entstehen lassen.“ Wie dieser große Begriff mit Leben gefüllt wird und was nach dem ersten Etappenziel die geeigneten nächsten Schritte sind, dass wollen Bunk und Tebbe gemeinsam mit ihren Gesellschaftern und ihrem Beirat entscheiden. Vorsitzender ihres Unternehmensbeirates ist ihr ehemaliger Chef von der Reederei Ernst Russ. Weil Robert Lorenz-Meyer wusste, dass er junge Leute, die ein Unternehmen aufbauen wollen, nicht halten kann, hat er sich dafür entschieden, sie zu unterstützen. Heute steht er den beiden Jung-Unternehmern mit Rat und Tat zur Seite.
Tebbe und Bunk wollen Geld ausgeben
Die letzten beiden Jahre waren sehr arbeitsintensiv und emotional, „aber sie waren fantastisch“, sagt Tebbe. Ursprünglich hatten sie erwartet, dass die Finanzierung eines Schiffs das größte Problem darstellen wird. Aber es kam anders. Die Finanzierung war relativ schnell gesichert, aber eben konditioniert an ein gutes Projekt. Mit der Gewissheit, dass sie auch in diesem Jahr etwas umsetzen können, sind sie ins neue Jahr gestartet. „Wir möchten gerne Geld ausgeben, aber wir wollen es auf jeden Fall anständig tun“, betont Tebbe und hofft auf das richtige Quäntchen Glück. Bislang erwirtschaften sie mit ihrem Unternehmen erst moderate Überschüsse – aber die beiden sind fest davon überzeugt, dass sie jetzt die Grundvoraussetzungen für mehr schaffen. „Die Art und Weise wie wir das hier gemeinsam mit unseren Gesellschaftern und diesem Umfeld tun dürfen, das zaubert einem jeden Tag ein Lächeln ins Gesicht“, sagt Tebbe und freut sich.
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