Seit den spektakulären Stromausfällen in den USA und in Europa im Sommer 2003 ist das Thema Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft wieder stärker in den Vordergrund gerückt. Mit der Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) können die Netze zuverlässiger gemacht und Blackouts verhindert werden, ist man sich beim schwedisch-schweizerischen Konzern ABB sicher. Vor 50 Jahren führte das Unternehmen diese Technologie erstmals kommerziell ein.
Für Stromkonzerne und Energieversorger, die sichergehen wollen, dass es zu keinen Schwankungen oder Ausfällen bei der Versorgung kommt, ist die HGÜ-Technologie eine zunehmend attraktive Investition, sagt Peter Smits, ABB-Vorstand für Energietechnik. Als im August 2003 im Osten der USA die Lichter ausgingen, konnte das erst ein Jahr zuvor in Betrieb genommene und auf der neuesten HGÜ-Technologie basierende Cross-Sound-Cable zwischen Connecticut und Long Island dazu beitragen, Stromnetze wieder in Betrieb zu nehmen, die zuvor komplett ausgefallen waren. Dieser Black Start-Fähigkeit des Systems sei es auch zu verdanken, dass schon kurze Zeit nach dem Netzzusammenbruch Zehntausende lokaler Kunden wieder mit Strom versorgt werden konnten, betont Smits. Bei der HGÜ-Technik wird der Dreh- oder Wechselstrom eines Stromnetzes in Stromrichterstationen gleichgerichtet und als Gleichstrom per Kabel oder Freileitung übertragen, um am anderen Ende der Leitung wieder in Wechselstrom umgerichtet zu werden.
In den Entwicklungslabors von ABB entstand auch die als “HVDC light” bezeichnete Weiterentwicklung der HGÜ-Technik, die im Vergleich zu den Vorgängerversionen mit kompakteren Spannungsrichtern und dünneren Kabeln auskommt. Für diese Technik sind schmalere Trassen als beim Wechselstrom nötig, erläutert Gunnar Asplund, der bei ABB für die Entwicklung und Erforschung der Gleichstrom-Übertragungstechnik verantwortlich ist und fügt hinzu, dass dadurch weniger Eingriffe in die Natur erforderlich seien und deshalb auch die Genehmigungsverfahren erleichtert werden. Ihre Stärken kann die Technologie naturgemäß bei der Kopplung von Wechselstromnetzen ausspielen, erklärt der Entwicklungschef. Nach seinen Ausführungen lassen sich dadurch beispielsweise zwei Netze miteinander verbinden, bei denen eines mit einer Frequenz von 50 Hz und das andere mit 60 Hz arbeitet. Dem daraus entstehenden Netzwerk könne der Verbraucher nicht mehr ansehen, dass es aus verschiedenen Teilen zusammengebaut wurde, beschreibt Asplund den Vorteil der Technologie. Da bei den Gleichstromkabeln im Vergleich zu Wechselstromkabeln die maximale Länge der Übertragungsstrecke nicht durch den Blindleistungsfluss beschränkt wird und sie zudem in der Herstellung günstiger sind, empfehle sich eine HGÜ- Leitung überall dort, wo große Strecken oder Wasserflächen überbrückt werden müssen. Die Anbindung von Inseln an ein bestehendes Stromnetz sei deshalb ein typisches Beispiel für den Einsatz von HGÜ, betont Asplund.
In Skandinavien sind in den letzten 50 Jahren auf diese Weise fast ein Dutzend Leitungen auf dem Meeresboden der Ostsee verlegt worden, darunter auch das 1994 in Betrieb genommene Baltic Kabel zwischen Deutschland und Schweden und die 1996 installierte Kontek-Verbindung zwischen Dänemark und Deutschland.
Hoher Investitionsbedarf erwartet
Weltweit sind derzeit mehr als 90 HGÜ-Anlagen installiert, die zusammen über eine Übertragungskapazität von mehr als 70.000 MW verfügen. Mit einem Marktanteil von 60 Prozent hat ABB dabei mehr als die Hälfte der im Einsatz befindlichen HGÜ-Stromrichterstationen geliefert. So errichtete der Konzern am brasilianischen Wasserkraftwerk Itaipu eine Leitung mit der höchsten Spannung der Welt (600 kV) und installierte am Drei-Schluchten-Damm in China die mit 975 km weltweit längste Gleichstrom-Verbindung mit einer Übertragungsleistung von 3000 MW.
China ist für ABB der wichtigste Markt, denn bei den Stromübertragungstechniken wird hier ein HGÜ- Anteil von 10 bis 15 Prozent erwartet. Dafür wolle die Volksrepublik jährlich rund 12 Mrd. US-Dollar investieren, analysiert Energietechnik-Vorstand Smits. Auch in den USA und in Europa erwartet der ABB-Manager ein positives Investitionsklima. Die Stromausfälle hätten zu einem höheren Sicherheitsbedürfnis geführt und auch die steigende Zahl regenerativer Energieerzeugungsanlagen in Europa werde zu einer steigenden Nachfrage nach HGÜ- Technologien führen. Die EU hat mit ihrem “Quick-Start Program” einen Investitionsbedarf für Übertragungstechnologien von ca. 1,7 Mrd. Euro für die nächsten drei bis vier Jahre vorhergesagt. Nach Einschätzung von Smits wird mit rund 1,4 Mrd. Euro ein Großteil dieser geplanten Investitionen in die Gleichstrom- Übertragungstechnologien fließen, wovon auch ABB profitieren möchte. Anfang Februar gewann der Konzern die Ausschreibung für eine neue Stromleitung durch den finnischen Meerbusen. Das umgerechnet rund 83 Mio. Euro teure Estlink-Projekt zwischen Estland und Finnland wird die erste Stromverbindung der EU mit einem der neuen Mitgliedsländer sein und soll über eine Übertragungskapazität von 350 MW verfügen.
Mit HGÜ gegen die Abwanderung
Der Ursprung der HGÜ-Technologie liegt ebenfalls in der Ostsee. Vor 50 Jahren wurde auf der schwedischen Insel Gotland die erste kommerzielle HGÜ-Verbindung errichtet. Bereits 1950 hatte die schwedische Regierung beschlossen, eine Stromleitung zwischen dem schwedischen Festland und der 90 km entfernten größten Insel des Landes zu finanzieren. Ursprünglich war Gotland bei der Energieversorgung autark. Ein Wärmekraftwerk in Slite, im Westen der Insel, deckte den gesamten Strombedarf. Allerdings war die Energieerzeugung sehr kostspielig und die Strompreise auf der Insel waren folglich doppelt so hoch wie auf dem Festland – alles in allem keine optimalen Standortbedingungen, um auf Gotland Industrieanlagen betreiben und Arbeitsplätze schaffen zu können. Das schwedische Parlament wollte mit der Verlegung einer festen Stromleitung den hohen Energiebedarf auf der Insel decken, die Strompreise senken und so den einsetzenden Abwanderungstendenzen in der Bevölkerung entgegenwirken.
1953 verlegte die schwedische Firma Asea, ein Vorgängerunternehmen des heutigen ABB-Konzerns, ein Gleichspannungsunterseekabel zwischen dem festländischen Västervik und der 10 km südlich von Visby gelegenen Stadt Ygne. Ein Jahr später nahm die Anlage mit einer Nennspannung von 100 kV und einer Übertragungskapazität von 20 MW ihren Betrieb auf.
1970 wurden die Gleichrichter der Anlagen zusätzlich mit Thyristorventilen ausgestattet, die mit den bisher eingesetzten Quecksilberdampfventilen in Reihe geschaltet wurden. Dadurch konnte die Spannung der Leitung auf 150 kV und die Übertragungsleistung auf 30 MW erhöht werden.
Mit wachsendem Stromverbrauch auf der Insel wurde 1983 ein weiteres Unterwasser-Kabel mit einer Übertragungskapazität von 130 MW verlegt. Auch hierbei wurden Thyristorventile eingesetzt. Die beiden Leitungen waren nach Angaben von Entwicklungschef Asplund unabhängig voneinander im Einsatz und konnten den gesamten Strombedarf Gotlands abdecken. Das Heizkraftwerk in Slite sowie die vorgehaltenen Diesel-Anlagen in Visby konnten somit abgeschaltet werden und standen danach nur noch als Reserve-Energiequellen zur Verfügung.
HVDC light erleichtert Windstrom-Einspeisung
Als 1985 der Leistungsbedarf auf der Ostseeinsel die Marke von 147 MW erreicht hatte und ein weiteres Ansteigen zu erwarten war, musste zur Deckung des Mehrbedarfs und zur Erhöhung der Versorgungssicherheit eine dritte HGÜ-Verbindung in Betrieb genommen werden. Dieses als “Gotland 3” bezeichnete Kabel verfügt über eine maximale Übertragungskapazität von 320 MW und ist so konfiguriert, dass es mit dem zweiten Kabel in einem so genannten “bipolaren Link” zusammenarbeitet; das System könne jedoch auch vollkommen unabhängig betrieben werden, berichtete Asplund. Als Folge des Ausbaus konnten das ursprüngliche Originalkabel sowie die Anlagen der ersten Verbindung außer Betrieb genommen und abgebaut werden.
1999 errichtete ABB eine “HVDC light”-Verbindung auf Gotland. Die 50 MW-Leitung transportiert Strom von einem Windpark im Süden der Insel zu den Verbrauchsschwerpunkten um die Inselhauptstadt Visby. Da HGÜ-Systeme nach Angaben von ABB eine vollständige Kontrolle des Stromflusses erlauben und deshalb nicht überlastet werden können, nutzt der lokale Energieversorger Energiverk AG (Geab), ein Tochterunternehmen des schwedischen Vattenfall-Konzerns, die Technologie, um natürliche Schwankungen in der erzeugten Windenergie mit Strom vom Festland auszugleichen.
Dieser Artikel ist am 15. März 2005 in der Zeitung Energie & Management (Ausgabe 6/2005, S.4) erschienen