Wie wir die Energiezukunft gestalten und kommunizieren, hängt entscheidend davon ab, wie wir mit wissenschaftlichen Modellen umgehen. Diese Modelle sind die Grundlage vieler politischer Entscheidungen und wirtschaftlicher Planungen, aber ihre komplexen Annahmen und Prämissen bleiben oft unsichtbar. Ein Forschungsprojekt des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) hat sich genau dieser Problematik angenommen: Wie beeinflussen die Modelle, mit denen die Energiewende geplant wird, unsere Zukunft? Und wie können wir sie so kommunizieren, dass jeder sie versteht und aktiv daran teilhaben kann?
Unsichtbare Prämissen hinter den Energiewende-Modellen
Das transdisziplinäre Projekt „Poetik der Modelle“, das vom KIT und der Universität Münster gemeinsam durchgeführt wird, untersucht die verborgenen Mechanismen der Modellbildung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Vorhaben als Teil des Reinhart Koselleck-Programms mit einer Million Euro. Unter der Leitung von Professor Veit Hagenmeyer, dem Leiter des Instituts für Automation und angewandte Informatik am KIT, widmet sich das Projekt der Frage, wie wissenschaftliche Modelle nicht nur technische Kalkulationen, sondern auch Narrative der Zukunftsgestaltung sind. Ziel ist es, die Unklarheiten und Unsicherheiten zu reduzieren, die entstehen, wenn die Öffentlichkeit nicht nachvollziehen kann, wie Modelle zur Energiewende entwickelt werden.
„Unsere Energiezukünfte werden in Modellen entworfen, und mit diesen Modellen wird dann Politik gemacht“, erklärt Professor Hagenmeyer. Doch was passiert, wenn diese Modelle nicht verstanden werden? In solch einem Fall könnten Entscheidungen getroffen werden, die auf Annahmen basieren, die nicht transparent sind. Dies führt zu Unsicherheiten und Misstrauen, insbesondere wenn die Modelle als „wahr“ angenommen werden, ohne ihre Grundlagen zu hinterfragen. Um dem entgegenzuwirken, soll das Projekt die Annahmen und Prämissen dieser Modelle aufdecken und untersuchen, wie sie in die politische und gesellschaftliche Diskussion eingebracht werden.
Die Rolle von Reallaboren in der Forschung
Ein wichtiger Ansatzpunkt des Projekts ist die Rolle der Reallabore des KIT. Diese dienen als Testfelder für zukünftige Energiesysteme und stellen eine direkte Verbindung zwischen theoretischer Forschung und praktischer Anwendung her. Das KIT betreibt Europas größte Forschungsinfrastruktur für erneuerbare Energien, das sogenannte Energy Lab, und setzt auf die Methode der Reallabore, um Modelle unter möglichst realen Bedingungen zu testen. Dabei geht es nicht nur um die technische Machbarkeit, sondern auch darum, wie die Modelle von Bürgern und Entscheidungsträgern wahrgenommen werden und welche Darstellungsformen dafür verwendet werden. „Reallabore sind nicht nur Testfelder, sondern auch Orte der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Aushandlung“, erklärt Hagenmeyer.
Die gesellschaftliche Dimension der Energiewende
Das Projekt hat auch die gesellschaftliche Dimension der Energiewende im Blick. Vorbehalte und Skepsis gegenüber der Transformation des Energiesystems entstehen häufig dort, wo die Kommunikation zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft nicht gelingt. Häufig wird die Energiewende als eine rein technische Herausforderung wahrgenommen, ohne dass die zugrunde liegenden Modelle und Annahmen hinterfragt werden. Das Forschungsprojekt möchte hier ansetzen und neue Wege finden, wie Modelle transparenter, partizipativer und inklusiver gestaltet werden können, um die breite Bevölkerung in den Prozess einzubeziehen.
„Solange Menschen nicht nachvollziehen können, wie Energiezukunftsszenarien entstehen, bleibt der öffentliche Diskurs von Unsicherheit, Misstrauen und simplifizierten Forderungen geprägt“, fasst Hagenmeyer zusammen. Die Wissenschaft muss also einen Schritt weiter gehen und nicht nur die Technik erklären, sondern auch die Erzählweise hinter den Modellen aufzeigen. Nur so kann eine zukunftsfähige Energiewende gestaltet werden, an der alle mitwirken können.
Das KIT, als eine der führenden Forschungsuniversitäten in Deutschland, hat sich zum Ziel gesetzt, mit seiner Expertise zur Lösung globaler Herausforderungen beizutragen. Das Projekt „Poetik der Modelle“ ist ein Schritt in die richtige Richtung, um das Verständnis und die Akzeptanz der Energiewende in der Gesellschaft zu fördern. Denn nur wenn wir die Modelle verstehen, können wir die Zukunft aktiv und nachhaltig gestalten.