Mit der Diskussion um ein klimaneutrales Stromsystem wird die einheitliche Strompreiszone in Deutschland zunehmend hinterfragt. Ein Vergleich mit Norwegen zeigt Vor- und Nachteile auf.
Immer wieder bringen norddeutsche Bundesländer oder die EU die Aufteilung Deutschlands in unterschiedliche Strompreiszonen ins Spiel. Durch den Ausbau der erneuerbaren Energien im Norden und die steigenden Netzengpässe beim Stromtransport Richtung Süden steigen die Gesamtkosten für Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen kontinuierlich an und führen zu immer höheren Netznutzungsentgelten. „Während norddeutsche Bundesländer insbesondere aufgrund des Windenergieausbaus einen zunehmenden Stromüberschuss ausweisen, ist im Süden das Angebot kostengünstiger Erneuerbarer Erzeugung zu vielen Stunden niedriger als die Nachfrage. Für diese Diskrepanz ist der gegenwärtige einheitliche Strommarkt blind, was die Netzbetreiber mit zunehmenden Netzengpassmaßnahmen ausgleichen“, erklärt Fabian Huneke. „Durch unterschiedliche Preiszonen könnte der Markt den Kraftwerkseinsatz und die Nachfrage gezielter steuern“, sagt der Projektleiter Energiewende im Stromsektor beim Thinktank Agora und verweist auf Skandinavien, wo der Strommarkt in Preiszonen unterteilt ist. Dort funktioniere die Steuerung über den Markt besser.
Beispiel Norwegen: Dort haben sich seit der Marktliberalisierung 1991 fünf verschiedene Strompreiszonen entwickelt, deren Strom an der skandinavischen Strombörse Nord Pool gehandelt wird.
Das norwegische Stromsystem basiert zu 90 Prozent auf Wasserkraft und ist damit stark wetterabhängig. Aufgrund ihrer Geografie und ihrer Größe variieren die Witterungsbedingungen in den einzelnen Landesteilen Norwegens stark, wodurch auch die Stromsituation zwischen den nördlichen und südlichen Regionen sehr stark variiert.
Gunnar Løvås, Executive Vice President Market and System Operation beim staatlichen Energieunternehmen Statnett, bringt die Herausforderungen, die Norwegens Strommarkt mit sich bringt, auf den Punkt: „Im norwegischen Stromsystem sind sowohl die Erzeugung als auch der Verbrauch über das ganze Land verteilt. Die Stromerzeugung hängt weitgehend von den Niederschlägen ab, was bedeutet, dass der Zugang zu Strom in den Regionen zu unterschiedlichen Zeiten variiert. Gleichzeitig reicht die Kapazität des Netzes nicht aus, um diese Unterschiede in allen Situationen auszugleichen. Daher ist das norwegische Stromnetz in fünf Preiszonen unterteilt.“
Ziel der Preiszonen ist es, die norwegischen Stromressourcen effizient zu nutzen, dem Markt Signale über Engpässe und Überschüsse zu geben und den ordnungsgemäßen Betrieb des Systems sicherzustellen. Bei der Abrechnung der Durchleitung des Stroms in den einzelnen Strompreiszonen wird ein Punktesystem verwendet, das Anschluss, Leistung, Energie und Kapazität in seine Berechnungsgrundlage einbezieht. Festpreisverträge für Verbraucher sind selten. Die stundenaktuellen Preise der Strombörse sind frei einsehbar. Lieferanten bieten ihren Kunden in der Regel Preisinformationen zum Beispiel über Smartphone-Apps.
Soviel zur Theorie. In der Praxis bekommen norwegische Verbraucher die Unterschiede zwischen den Strompreiszonen besonders während Wetterextremen zu spüren, das heißt während besonders trockener oder – wie zuletzt – besonders kalter Perioden. Dann gibt es große Unterschiede mit in der Regel niedrigeren Preisen in Mittel- und Nordnorwegen auf der einen und hohen Preisen in Südnorwegen auf der anderen Seite. Zu den wichtigsten Faktoren, die dazu führen, dass die Preise in Norwegen sowohl zeitlich als auch örtlich schwanken, gehören der Wasserstand in den Speichern, vorübergehende Unterbrechungen im Stromnetz und Engpässe im norwegischen Netz, das für einen einheitlichen Strompreis nicht ausreichend ausgebaut ist.
So hat Norwegen zum Beispiel keine durchgehende 420 kV-Leitung von Norden nach Süden. Im Vergleich: Schweden verfügt über acht solcher Leitungen. Der größte Teil des Transports von Nord nach Süd auf nordischer Ebene verläuft daher über das schwedische Stromnetz. Da die norwegischen und schwedischen Netze so eng miteinander verbunden sind, wirken sich die Netzkapazität und der Stromfluss von Nord nach Süd in Schweden auch auf die Stromübertragung, Engpässe und Preise in Norwegen aus.

27.2.2024 9.30 Uhr. Illustration: Statnett
Darüber hinaus beeinflusst der europäische Strombedarf den norwegischen Markt, da Norwegen über 14 Auslandskabel Energie in die nordischen Regionen, nach Deutschland und nach Großbritannien exportiert. In der allgegenwärtigen Debatte um günstigen Strom wird dabei häufig vergessen, dass diese Kabel auch zum Import genutzt werden. Laut Zahlen von Nord Pool hat Norwegen im Dezember 600 GWh mehr Strom aus Großbritannien, Dänemark, Deutschland und den Niederlanden importiert, als es über die Stromkabel exportiert hat. Das ist der höchste Nettoimport seit März 2019.
Aus norwegischer Sicht muss die Netzauslastung deshalb reguliert und das schwankende Angebot ausgeglichen werden. „Die Preiszonen helfen uns, die norwegischen Stromressourcen effizient zu nutzen, dem Markt zu signalisieren, wann und wo Stromknappheit oder -überschuss herrscht, und gleichzeitig den ordnungsgemäßen Betrieb des Systems zu gewährleisten“, beschreibt Løvås die Situation. Für die norwegische Industrie sind die unterschiedlichen Preise gewichtige Argumente in der Standortwahl für ihre Produktionen. Langfristig ist davon auszugehen, dass die Preissignale zu einem höheren Verbrauch im Nordnorwegen und einer höheren Stromerzeugung im Süden beitragen werden.
Ein Effekt, auf den auch Politiker aus Norddeutschland hoffen und deshalb das Thema immer wieder auf die bundespolitische Bühne heben.
„Liquidität nicht aufs Spiel setzen“
Deutschland verfügt über den derzeit liquidesten Strom-Terminmarkt in Europa und darf diesen Vorteil bei der Weiterentwicklung des Strommarktdesigns nicht aufs Spiel setzen, mahnt hingegen Bernhard Walter, Vorstandsvorsitzender der Händlervereinigung EFET Deutschland. Der Strom-Terminmarkt sei ein wesentlicher Mechanismus, um Stromabnehmer in den privaten Haushalten, bei Unternehmen oder in der Industrie vor Preisschwankungen zu schützen. Vor allem die Energiepreiskrise habe gezeigt, dass sich Versorger über den Terminhandel für bis zu drei Jahre preislich absichern und so die Preisspitzen deutlich besser auffangen konnten, als dies im Spothandel möglich gewesen sei. „Zudem ermöglichen Termingeschäfte im Großhandel die Absicherung von Investitionen, die wesentlich für die Energiewende sind, gegen diverse Markt- und Ausfallrisiken. Je liquider der Terminmarkt, umso besser und günstiger gelingt die Absicherung sowohl für Erzeuger als auch Verbraucher“, betont Walter.
Liquidität entstehe, wenn sich möglichst viele Stromanbieter und Nachfrager an einem Markt beteiligen – vor diesem Hintergrund sieht Walter die aktuellen Diskussionen um die Einführung einer neuen Strompreiszone in Deutschland zwischen Nord- und Süddeutschland kritisch. „Ein einfaches Splitting reicht ja nicht aus, auch die EEG-Umlage und Investitions-Regularien müssen dann für die jeweilige Strompreiszone angepasst werden. Das Thema ist sehr komplex“, so Walter.
„Mit einem Preiszonen Split werden einerseits der Kraftwerkseinsatz und die Stromnachfrage besser durch den Markt koordiniert. Andererseits besteht das Risiko sinkender Marktliquidität.“
Fabian Huneke, Projektleiter Energiewende im Stromsektor Agora Energiewende
Auch Fabian Huneke von Agora sieht bei einem direkten Vergleich zwischen dem norwegischen Modell und Deutschland einige Herausforderungen. Beim norwegischen Analyseunternehmen THEMA in Oslo hat Agora Energiewende eine Studie in Auftrag gegeben. „Im Kern zeigt der Vergleich zwei Dinge: Mit einem Preiszonensplit wird einerseits der Kraftwerkseinsatz und die Stromnachfrage besser durch den Markt koordiniert. Andererseits besteht das Risiko einer sinkenden Marktliquidität und damit einer geringeren langfristigen Preisverlässlichkeit für Erzeuger wie Verbraucherinnen und Verbraucher“, fasst Huneke die Ergebnisse zusammen.
Aktuell arbeitet Huneke mit seinem Team an einem Projekt, das Preiseffekte regional hoch aufgelöst darstellen soll. Zwar liegen die endgültigen Ergebnisse noch nicht vor, für den EID zieht er aber bereits erste Schlüsse: „Drei im Rahmen der Plattform Klimaneutrales Stromsystem veröffentlichte Analysen verschiedener Institute berechnen rund 1 Cent/kWh niedrigere Strompreise im Norden als im Süden“. Kraftwerke im Süden hätten demnach also höhere Einnahmen zu verzeichnen, während hingegen Kraftwerke im Norden geringere Strommarkterlöse erwirtschaften würden. Aus Verbrauchersicht werden die drei Analysen als Entwarnung bewertet, sagt Huneke, „denn der Preisunterschied ist deutlich geringer als die derzeitige Diskrepanz der durchschnittlichen Netzentgelte der Bundesländer von rund 6,2 Cent/kWh“.
Politikern im Norden Deutschlands, die entsprechend argumentieren, macht er wenig Hoffnung, dass sich mit einer eigenen Strompreiszone und der hohen Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie oder von grünem Wasserstoff entsprechende Preiseffekte einstellen, die dazu führen könnten, dass sich mehr energieintensive Industrien im Norden ansiedeln würden.
„Ein überraschendes Ergebnis unserer Analyse ist, dass sich diese Erwartung an kleinere Preiszonen im Fall von Skandinavien als überhöht herausgestellt hat“, sagt Huneke. Die Studie habe weder eindeutige Belege dafür finden können, dass große neue Stromverbraucher günstige Preiszonen als Standorte wählen, noch, dass neue Gaskraftwerke automatisch in Hochpreiszonen entstehen. „Unter den Faktoren, die eine Standortwahl beeinflussen, ist der zonale Strompreis nur einer von vielen – und nicht immer der entscheidende“, gibt Huneke zu bedenken. Auch zu Elektrolyseuren liege ihm bisher wenig Evidenz bzw. Empirie vor, „grundsätzlich sind gerade für sie zonale Strompreise aber ein besonders wichtiger Standortfaktor“, so Huneke. Klar sei aber, und das habe die Analyse eindeutig gezeigt: „Im laufenden Betrieb passen sich Verbraucherinnen und Verbraucher in Norwegen an ihren jeweiligen zonalen Strompreis an“.
Künftig werden also hierzulande weiterhin mehr Flexibilität und Engpassmanagement gefragt sein. Denn auch ein weiteres Argument für unterschiedliche Preiszonen wird aus Norwegen konterkariert. Befürworter des Strompreiszonen-Splits verweisen gern auf den fehlenden Netzausbau hierzulande. In Norwegen hingegen gibt es umfangreiche Pläne für mehr Netzkapazitäten. In den vergangenen zehn Jahren hat der Netzbetreiber Statnett nach eigenen Angaben 2.000 Kilometer neue Hochspannungsleitungen in Norwegen gebaut und zahlreiche Umspannwerke im norwegischen Übertragungsnetz modernisiert. Bis 2030 sollen umgerechnet rund 5 bis 10 Milliarden Euro in das norwegische Stromnetz investiert werden. Statnett ist dazu verpflichtet, seine Einnahmen durch die höheren Kosten im Zuge der Engpässe bis zu einem gewissen Grad in den Netzausbau zu investieren.
Dieser Analysebeitrag ist als Titel des EID 10/2024 am 4. März 2024 erstmals veröffentlicht worden. Vielen Dank an Sarah Becker-Kraft von der AHK Norwegen, der Deutsch-Norwegischen Handelskammer in Oslo für die tatkräftige Unterstützung.